"Das
sollen uns die kapitalistischen Länder
erst einmal nachmachen."
Nikita Chruschtschow nach Gagarins Weltraumflug
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Gut ein Jahr vor Koroljows
Tod, über den wir im übernächsten
Kapitel sprechen müssen, erhalten seine Chefingenieure
im Frühjahr 1965 neben Konstruktionsplänen für das
N1-L3-Konzept
einen detaillierten Plan des Ablaufes einer künftigen Mondmission.
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Erst
1991 wird dieser Plan der Öffentlichkeit
zugänglich gemacht werden. |
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Wieviel von diesem Konzept von der politischen
und ministerial-technokratischen Führung später geändert
wurde, ist noch unklar.
Klar ist, dass Präsident Breschnew angeordnet hat:
Sobald der erste erfolgreiche unbemannte N1-L3-Flug
absolviert worden ist, soll der nächste Flug bemannt werden!
Der Hauptteil, die bemannte Mission, steht erst am Ende einer
Abfolge von mindestens 4 aufeinanderfolgenden Raketenstarts:
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Abb. 19-1
PROTON-Trägerrakete
vor dem Start
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Abb. 19-2
Der zentrale Teil des
L3-Komplexes:
Das SOJUS-LOK-Raumschiff
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Abb. 19-3
SOJUS-LOK
(Testmodell in Originalgröße)
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Es folgt ein unbemannter N1-L3-Start.
An Bord des L3-Raumschiffes
ist wie beim bemannten Flug eine LK-Mondlandefähre.
Sie wird innerhalb des von den Sonden eingegrenzten ebenen Bereiches
landen.
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Seltsamerweise
waren alle sowjetischen Mondlandungen ausschließlich auf
ebenes Gelände beschränkt. Landungen in der Nähe
von Bergen, wie es die Amerikaner taten, wurden völlig ausgeschlossen.
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1965 glauben
die führenden Techniker, eine zweite Landung innerhalb einer
Entfernung von fünf Kilometern um den Auftreffpunkt eines
ersten Vehikels verwirklichen zu können.
Warum dieser Aufwand?
Was versprechen sich die Sowjets von solch aufwendigen Vorbereitungen
einer bemannten Mondlandung?
- Den Sowjets ist das
amerikanische Mondmodul
des APOLLO-Programms zu risikovoll.
In ihrer eigenen Mondlandefähre ist technisch bedingt nur
Platz für einen Kosmonauten.
Sie wollen ihrem auf dem Erdtrabanten landenden
Kosmonauten deshalb eine zweite Rückkehrchance geben!
- Im Vergleich zum APOLLO-Programm gibt es bei
N1-L3 gravierende Unterschiede:
Keines der vier Stufentriebwerke der N1 wird mit kryogenen (leistungsstärkeren)
Brennstoffen betrieben. Das Startgelände Baikonur
ist weiter vom Äquator entfernt als Kap Kennedy- was
bedeutet, dass eine in Kasachstan abgeschossene Rakete weit
weniger von der Erdrotation profitiert als eine in Florida gestartete
Rakete.
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Diese Gründe bedingen,
dass die damals aktuelle Version der N1
eine geringere Nutzlast auf den Weg zum Mond bringen kann als eine
SATURN V.
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Abb. 19-4
N1-Trägerrakete
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Das SOJUS-LOK-Raumschiff ist
außerdem nur für zwei Kosmonauten ausgelegt.
Auch wiegt das LK-Mondlandeschiff
nur circa die Hälfte des amerikanischen Mondmoduls und kann
nur einen Kosmonauten beherbergen.
Dieser ist allein auf dem Mond, d.h. er muss mit einem Raumanzug
ausgestattet werden, den er erstens ohne fremde Hilfe aus-
und anziehen kann, und der zweitens, um die Sicherheit des Kosmonauten
zu gewährleisten, viel komplexer ausgestattet ist als der
Anzug der im SOJUS-LOK-Schiff wartenden Gefährten.
Seien also die beiden LUNA-Sonden und das unbemannte L3-Raumschiff
erfolgreich gestartet worden ...
Auch der vierte Start verlaufe nach Plan:
Mit einer N1-Trägerrakete wird das mit zwei
Kosmonauten bemannte SOJUS-L3-Raumschiff
in einen Erdorbit geschossen. Dort kann es bis zu einem Tag
verweilen.
Nach Brennschluss des BLOCKS G und
Abwurf der G-Stufe fliegt SOJUS-LOK/LK
zum Mond und lenkt dort mittels Zündung der BLOCK-D-Stufe
in einen elliptischen Mondorbit ein, mit 110 km Abstand von
der Oberfläche.
Das Mondlandeschiff LK befindet
sich noch in einer schützenden Metallhülle zwischen
der D-Stufe und dem SOJUS-LOK-Schiff
selbst.
Der Kommandeur der Mission bleibt in der LOK-fähre;
das Schiff wird nun eine
mit der beim US-CSM-Modul vergleichbare
Kontroll- und Steuerungsrolle spielen.
Das BLOCK-D-Triebwerk
wird wiederum gezündet; der LOK/LK-Komplex
nähert sich bis auf 16 km der Oberfläche des Mondes.
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Der Flugingenieur betritt das Orbitalmodul des LOK-Schiffes,
zieht flüssigkeitsgekühlte "Unterwäsche" an und
steigt dann in seinen speziellen KRETCHET-Raumanzug
(russ. "Gerfalke").
Der Kommandeur der Mission zieht seinen ORLAN-Raumanzug
an (russ."Adler").
Er unterscheidet sich vom KRETCHET,
was das Äußere angeht,
im Taillen- und Hüftenbereich. Außerdem ist er mit
einer einfacheren thermischen Isolierung und Schutzschicht gegen
Mikrometeoridenbeschuss versehen und besitzt nur ein metallbeschichtetes
grünes Helmvisier. Der KRETCHET
verfügt dagegen über zwei Visiere, von denen wenigstens
eines goldbeschichtet ist.
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Abb. 19-5
KRETCHET-Helm
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Abb. 19-6
KRETCHET-
Raumanzug
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Sobald die "Signalfeuer" der beiden LUNA-Sonden in Sicht sind,
zündet der LOK-Kommandeur noch einmal kurz das BLOCK-D-Triebwerk
und lässt das Raumschiff bis auf eine Entfernung von 11 km
zur Mondoberfläche absinken.
Der Flugingenieur steigt - wie beim APOLLO-Projekt - aus dem Raumschiff
aus, muss sich nun mittels der an der Raumschiffsaußenhülle
befestigten Halterungen bis zum Einstieg in das LK-Modul hangeln
... betritt die Mondlandefähre und nimmt seinen Platz hinter
den Kontrollinstrumenten ein.
Der Kommandeur zündet nun die Sprengsätze, die die Schutzhülle
um den LK-Lander entfernt und die Bolzenverbindungen
zwischen LOK und LK/BLOCK D trennen.
Die LK-Fähre ist nun frei.
Ein letztes Mal wird das BLOCK-D-Triebwerk gezündet, um für
eine Abbremsung auf praktisch Null zu sorgen.
Die Fähre nähert sich bis auf 1600 Meter der Oberfläche.
Das BLOCK-D-Triebwerk hat seine Aufgabe erfüllt und wird
abgetrennt; es wird auf den Mond aufprallen.
Den restlichen Abstieg kann der Kosmonaut "in aller Ruhe" beenden:
das dafür vorgesehene BLOCK-E-Triebwerk erlaubt volle Manövrierfähigkeit.
Aufgrund des geringen Treibstoffvorrates der Landefähre hat
der Kosmonaut allerdings nur eine knappe Minute Zeit, einen geeigneten
Landeplatz auszusuchen. Ist dies getan, landet der Kosmonaut 25
Sekunden später nicht weiter als 5 km von der unbemannten
Reservefähre entfernt.
Er bereitet sich nun auf den, auf circa vier Stunden begrenzten
Ausstieg vor.
Der Druckausgleich wird hergestellt, die nach innen zu öffnende
ovale Luke geöffnet- oval wegen der Form des ausladenden
"Rucksacks" des
KRETCHET -, der Kosmonaut steigt herab zum Mondboden.
Lustig sieht er aus, mit einem Ringwulst um die Rückentaille.
Der hat seinen Grund:
Würde der Mondbesucher durch ein Malheur auf den Rücken
fallen, hätte er wie ein Käfer Schwierigkeiten, wieder
auf die Beine zu kommen. Mittels des zusätzlichen Hüftringes
kann er sich im Falle des Falles auf den Bauch rollen. Jetzt ist
es für ihn - relativ - einfach wieder aufzustehen.
... Die vier Stunden sind abgelaufen, der Aufenthalt auf dem
Erdtrabanten ist beendet, der Kosmonaut will zum Mutterschiff
zurückkehren.
Doch nehmen wir nun folgendes Horrorszenario an:
Der Kosmonaut nimmt Platz in der Fähre,
will das Triebwerk für die Rückkehr starten, aber aus
irgendeinem Grund liegt ein Defekt vor. Das Triebwerk springt
nicht an, eine Reparatur ist nicht möglich!
Jetzt greift der "Second-Chance"-Plan
Koroljows:
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Der Kosmonaut muss sich auf den 5 km weiten Weg zum Reserve-LK-Mondlander
machen; zu Fuß oder - bei späteren Flügen - mit
dem LUNOCHOD-Fahrzeug.
Dies erfordert eine zusätzliche Ausrüstung des KRETCHET-Raumanzugs.
Ursprünglich hat man eine Kapazität von 6 Stunden Aufenthalt
im Anzug vorgesehen, mit einer Reserve von 1 ½ Stunden.
Zwei Stunden davon sind für die Operationen im Mondorbit
abzuziehen. Vier Stunden sind rund um die Mondlandung verplant.
Damit ist das Sauerstoffvorratskontingent bis auf die Reserve
erschöpft.
Zur Vorbereitung auf die bemannten Mondmissionen wird deshalb
ein modifizierter KRETCHET-Anzug geschaffen: 105 kg schwer, bezogen
auf ein normales Körpergewicht von 75 kg. Der Rückentornister
("KASPY"), der das regenerative Lebenserhaltungssystem enthält,
bekommt einen größeren Sauerstofftank, dessen Vorrat
für 10-12 Stunden Aufenthalt im Anzug ausreicht; auch der
Lithiumhydroxid-Absorberkanister fällt größer
als beim ORLAN aus.
Die im Januar 1969 vollführte SOJUS
4 & 5-Kopplung ist praktisch ein Training von einzelnen
Elementen der geplanten Mondmission, vergleichbar in etwa mit
der amerikanischen APOLLO
9-Mission.
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Abb. 19-7
KRETCHET-Anzug
mit Rückentornister KASPY
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Abb. 19-8
KASPY |
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Statt des KRETCHET werden allerdings YASTREB-Anzüge
verwendet.
Ein KRETCHET ist nie im All gewesen!!!
Die Arbeiten an KRETCHET und ORLAN werden 1971 eingestellt.
Ein modifizierter ORLAN-Raumanzug wird ab 1973 für das SALJUT-Raumstationsprogramm
entwickelt. Der charakteristische Rückentornister KASPY bleibt
erhalten. Modifizierte ORLAN-Anzüge werden auch heute noch
in der russischen Raumfahrt benutzt.
Die Kosmonauten müssen ein hartes Training absolvieren,
um sich die Kondition für einen 5000m-Spaziergang anzueignen,
eingeschlossen der Orientierungsübungen zum Auffinden der
Ersatzfähre. Unabhängig davon, ob sie später ein
Fahrzeug benutzen können.
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Kehren wir jetzt zum Normalfall zurück:
Das Starten des BLOCK-E -Triebwerks funktioniert, die LK-fähre
kehrt zum wartenden SOJUS-LOK-Raumschiff zurück.
"Kontakt" nennt sich das sehr einfach gehaltene Andocksystem zwischen
Lande- und Orbitfähre. Es toleriert auch größere
Fehlausrichtungen beider Schiffe zueinander. Man kann sich das
nur schwer vorstellen, wenn man oben auf der Mondfähre die
wabenförmige Platte mit ihren 108 hexagonalen Löchern
sieht. Die entsprechenden 108 "Finger" des SOJUS-Schiffes müssen
genau passen!
Der LK-Kosmonaut hat die alleinige Verantwortung für den
Andockvorgang.
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Abb. 19-9
Andocksystem
zwischen LOK und LK
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Ist das Andockmanöver beendet,
kehrt der Kosmonaut in das LOK-Raumschiff
zurück, im Gepäck all die Dinge, die er auf dem Mond
eingesammelt hat. Der Kommandeur des Raumschiffes trägt während
dieser Operationen seinen ORLAN-Anzug,
um im Notfall helfend eingreifen zu können.
Der Normaldruck wird im Orbitalmodul wiederhergestellt, die Kosmonauten
entledigen sich ihrer Raumanzüge; nun hat der Mondlander
seine Schuldigkeit getan.
Die LOK-Andockvorrichtung wird mitsamt
der LK-fähre vom Raumschiff abgesprengt
und später auf dem Mond aufprallen. Das Haupttriebwerk des
Raumschiffes wird gezündet, es geht heim.
Dreieinhalb Tage dauert der Rückflug zur Erde,
zu kurz um die vielen Eindrücke verarbeiten zu können.
Vor dem Wiedereintritt in die Erdatmosphäre suchen die Kosmonauten
die Eintrittskapsel auf, diese wird vom Raumschiff getrennt und
taucht mit einer Geschwindigkeit von 11 km/sec (= 39.600 km/h!)
in die Atmosphäre. Das Bremsmanöver ist brutal; einige
G lasten auf den Piloten.
Die Fallschirme werden geöffnet, die beiden
Menschen landen auf festem Boden, gewöhnlich in der kasachischen
Steppe bei Baikonur.
Die gesamte Mission hat dann zwischen elf und
zwölf Tagen gedauert.
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Fazit:
Die Gesamtkonfiguration der N1-L3-Mondmission ist höchst
komplex.
Es muss alles stimmen, ein Fehler bei einem der früheren
Starts kann das gesamte Programm kippen!
Die Countdowns der PROTON/LUNA- und N1-L3-Flüge müssen
jeweils dasselbe Startfenster benutzen.
Das Fenster ist nur eine Woche im Monat offen, d.h. in einem
Zeitraum von sieben Tagen müssen zwei bzw. vier Raketen
erfolgreich gestartet werden!
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Man testet die Countdowns deshalb ausgiebig
auf den zwei vorhandenen N1/L3-Startrampen,
jeweils abwechselnd mit dem 1M-Testmodell in Originalgröße.
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Abb. 19-10
links
N1M-, rechts
N1-MOK -
Testmodelle in originaler Größe
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Der Grund
liegt auf der Hand: Da das Dienstpersonal zu einem großen
Teil aus einberufenen Soldaten besteht, die in konstantem Wechsel
ausgetauscht werden, muss das Startpersonal ständig neu trainiert
werden. Die Handgriffe müssen stimmen, der Ablauf muss ineinandergreifen
Immerhin 28 Tage werden gebraucht, um einen Start vorzubereiten,
nur zwei Tage benötigt dann noch der Countdown.
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Es gibt zwei Möglichkeiten
für den Start einer Mission:
Zunächst der Start der beiden
PROTON/LUNA-Raketen und einen Monat
später den der beiden N1/L3-Komplexe
...
oder:
Alle Starts innerhalb einer Woche!
Welche Methode in den theoretischen
Überlegungen Koroljows (bzw. später Mischins) bevorzugt
worden ist, das ist bis heute unklar geblieben.
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Inhalt Letztes Update dieser Seite am 04.04.2004
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