"Prämisse 1:
Beim heutigen Stand der Wissenschaft und der Technik ist der Bau von
Maschinen,
die höher steigen können, als die Erdatmosphäre reicht,
wahrscheinlich.
Prämisse 2:
Bei weiterer Vervollkommnung können diese Maschinen derartige
Geschwindigkeiten erreichen,
dass sie nicht auf die Erdoberfläche zurückfallen müssen
und sogar imstande sind,
den Anziehungsbereich der Erde zu verlassen.
Prämisse 3:
Derartige Maschinen können so gebaut werden,
dass Menschen (wahrscheinlich ohne gesundheitlichen Nachteil) mit
emporfahren können.
Prämisse 4:
Unter gewissen wirtschaftlichen Bedingungen kann sich der Bau solcher
Maschinen lohnen.
Solche Bedingungen können in einigen Jahrzehnten eintreten."
Hermann Oberth in seinem Buch "Die Raketen
zu den Planetenräumen"(1922)
Abb.1-1
Lageplan der Heeresversuchsanstalt und
Luftwaffenerprobungsstelle Peenemünde
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Am 5 Mai 1945 wurde die auf der Ostseeinsel
Usedom gelegene Heeresversuchsanstalt und Luftwaffenerprobungsstelle
Peenemünde von der Roten Armee eingenommen.
Auf diesem Areal waren von 1936 bis Anfang 1945 die deutschen Raketenwaffen,
in der Hauptsache die ferngelenkte fliegende Bombe V1 (Vergeltungswaffe)
und die erste Großrakete der Welt, die V2
(intern Aggregat 4 = A4 genannt), unter der Leitung von Wernher
von Braun entwickelt und getestet worden. |
Die deutsche Raketentechnik
war zu diesem Zeitpunkt dem Wissen und der Technik der Siegermächte
um mehr als 10 Jahre voraus, obwohl sich schon in den frühen
zwanziger Jahren Forscher wie Robert H. Goddard in den USA und
Konstantin E. Ziolkowski sowie Friedrich A. Zander in der UdSSR
mit Flüssigkeitsraketen erfolgreich beschäftigt hatten.
So entwickelte sich zum Ende des Krieges ein Wettlauf der zu diesem
Zeitpunkt noch verbündeten Mächte zu den Entwicklungs-
und Produktionsstätten der deutschen "Wunderwaffen".
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Abb.1-2
Robert Goddard
Raketenpionier
der USA,
startet die erste
Flüssigkeitsrakete
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Die erwartete Ausbeute auf dem Testgelände Peenemünde
fiel für die Russen jedoch äußerst gering aus, da
schon im Herbst 1943 - nachdem in der Nacht des 17. auf den 18.
August 1943 knapp sechshundert britische Bomber die Insel angegriffen
hatten - mit der Verlagerung der V1 & V2-Produktion begonnen
worden war.
Die neue Hauptproduktionsstätte, das in Nordhausen (Harz) unterirdisch
angelegte "Mittelwerk", war gegen Kriegsende zunächst an die
Amerikaner gefallen. Hier waren im Krieg von Anfang 1944 bis März
1945, unter Ausbeutung von Zehntausender Kriegsgefangener und Häftlinge,
in berüchtigten Konzentrationslagern wie DORA eingepfercht,
nach den Vorgaben aus Peenemünde 5789 V2/A4-Raketen in Serie
gefertigt worden. |
Abb. 1-3
A4/V2-Rakete
im Schnitt und auf der Startplattform
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Technische Daten: |
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Gewicht: 12,9 t |
Länge: 14 m |
Nutzlast: 1 t |
Startschub: 250 kN |
Geschwindigkeit: 5.760
km/h |
Schussweite: 330 km |
Entwicklung: 1936
- 1944 |
Erststart: 3. Okt.
1942 |
Die US-Armee zögerte nicht lange
- die Zeit war knapp, Nordhausen würde den Sowjets übergeben
werden müssen- und ging umgehend daran, Material, Maschinen
und 100 fertige Raketen sowie 13 Tonnen an Unterlagen in die USA
zu verbringen.
Insgesamt wurden über 341 Güterwaggons verladen, die
13 Truppentransporter füllten.
Im Zuge der Unternehmen OVERCAST und PAPERCLIP
folgten der Kriegsbeute noch über 700 deutsche Wissenschaftler,
allen voran Werner von Braun, über den Atlantik.
So waren denn, als am 5. Juli 1945 Thüringen
und somit auch Nordhausen vertragsgemäß von den Amerikanern
an die Russen übergeben wurde, die meisten Ergebnisse
der deutschen Raketenforschung längst in Richtung Amerika
unterwegs. Und es sah auch hier zunächst nicht besonders
gut für die Russen aus, verwertbare Beute zu machen.
Nach und nach förderten die eifrig suchenden neuen Besatzer
jedoch immer mehr, von den Amerikanern in ihrer Eile zurückgelassenes
oder nicht entdecktes Material ans Tageslicht.
Die Russen gingen sofort daran die V2 zu rekonstruieren
und die vorgefundenen Anlagen und Teile bis auf die kleinste Schraube
genauestens zu dokumentieren.
Schon Ende Juli 1945 liefen im Südharz wieder Vorbereitungen
zur Montage von V2-Raketen, das Groettrup-Team
unterstützte die Sowjets in ihren Bemühungen.
(Helmut Groettrup war in Peenemünde
ein Mitarbeiter v. Brauns in leitender Funktion gewesen; er hatte
sich entschieden, nach Kriegsende ins sowjetische Lager überzuwechseln.)
175 Raketenexperten und 20.000 weitere Deutsche (so amerikanische
Quellen) wurden von der Roten Armee, mehr oder weniger freiwillig
in die UdSSR verfrachtet.
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Abb.1-4
Gedenkmarke
für Konstantin Ziolkowski,
den russischen "Vater" der
Raketentechnik, Entdecker der nach ihm benannten Raketenformel
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Die sowjetischen Raketeningenieure
verstanden es geschickt, ihre eigenen Forschungserkenntnisse durch
die deutschen Kriegsbeute zu erweitern. Es war nun nicht so, dass
sie blutige Anfänger gewesen wären.
Der "Vater" der Raketentechnik, Konstantin Ziolkowski
(1857 – 1935), war ein Russe.
Er hatte die nach ihm benannte, bis heute gültige Raketenformel
entwickelt, mit der sich die Geschwindigkeit einer Rakete berechnen
lässt.
Die Ideen des genialen Pioniers der Raumfahrt waren seiner Zeit
um 50 – 100 Jahre voraus. Seine theoretischen Forschungen wurden
das Fundament der sowjetischen Raumfahrt.
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Man hatte in Leningrad im Juli 1928 ein erstes
Labor für Raketenforschung gegründet. Es unterstand der
Roten Armee.
Ein Schüler Ziolkowskis, Walentin
Gluschko, entwickelte dort wenig später den ersten Flüssigkeits-Raketenmotor.
In Moskau sammelten sich weitere Wissenschaftler um einen anderen
jungen begabten Schüler Ziolkowskis, einen gewissen Sergej
Pawlowitsch Koroljow. GIRD, die "Gruppe
zum Studium der Rückstoßbewegung", ist erfolgreich:
Am 17. August 1933 startete mit GIRD-09 die erste sowjetische Flüssigkeitsrakete;
diese wurde von Tichonrawow konstruiert, der Raketenmotor wurde
nach einem Entwurf Friedrich Zanders gebaut.
Zu Beginn des zweiten Weltkrieges gründete Gluschko 1939 eine
selbständige Forschungseinrichtung, die 1941 zum Versuchs-Konstruktionsbüro
(im Russischen OKB abgekürzt) wird, dem berühmten Gasdynamischen
Laboratorium OKB-456. Sein Stellvertreter
war Sergej Koroljow.
Man baute dort Flugzeug- und Bodengeschosse, die im Krieg eingesetzt
wurden.
1940 erreichte eine mit Salpetersäure und Kerosin als Brennstoffe
betriebene ballistische Rakete eine Höhe von 160 km.
Die Erweiterung der Raketentechnik führte nach Kriegsende zur
Gründung einer Reihe von Versuchs-Konstruktionsbüros,
von denen später die Rede sein wird.
Man hatte also aus Deutschland reiche Beute heimgeführt, die
auf gut vorbereiteten, fruchtbaren Boden fiel: |
Am 18. Oktober 1947 erfolgte (17 Monate nach dem ersten
Start einer V2 in den USA) in Kapustin Jar, dem ersten sowjetischen
Raketenabschussplatz, der Jungfernflug einer rekonstruierten A4/V2-Rakete,
dem noch 11 weitere folgen sollten.
Einwurf Kapustin Jar:
1946 wurde das Gebiet - 75-150 km südöstlich von Wolgograd,
dem ehemaligen Stalingrad, bei der Siedlung Kapustin Jar - als erstes
größeres Raketenstartgelände ausgewählt. Dort
starteten die V2 und daraus abgeleitete Höhenraketen... und in
den 50er Jahren die geophysikalischen Höhenraketen der W-Reihe.
Seit 1962 bis heute ist Kasputin Jar der Abschussplatz für die
KOSMOS- und u.a. (ab 1967) für die INTERKOSMOS-Satelliten.
Die Amerikaner wähnten sich
zu diesem Zeitpunkt noch weit im Vorteil.
Während sich in den USA die Airforce, Marine und Army einen
verbissenen Kampf um Gelder und Mittel für die Raketenforschung
lieferten, gelang es den Sowjets indes schnell, den amerikanischen
Vorsprung an Vorwissen einzuholen.
Danach war die Mitwirkung deutscher Fachleute nicht mehr erwünscht,
die ersten durften 1951 und die letzten 1953 heimkehren.
Über den Anteil, den die deutschen Entwicklungen am Aufstieg
der UdSSR zur Weltraumsupermacht hatten, spricht man selbst heute
nicht gerne in Russland.
Und auch in den USA möchte man liebend gerne bald vergessen,
dass durch den gewaltigen Technologietransfer mindestens zehn
Jahre an eigener Forschungsarbeit übersprungen werden konnten.
Sowjetische Wissenschafter und Ingenieure begeben
sich nun schnellstens an die Schaffung einer eigenen vaterländischen
Rakete, die legendäre R-Serie.
Die erste sowjetische Höhenforschungsrakete wird gleich ein
Klassiker.
Am 31. Oktober 1948 startete das von Chefkonstrukteur Sergej Koroljow
entwickelte Modell R1
(auch unter A1 in der Literatur zu finden) erfolgreich
von Kapustin Jar. Der Zenit der Flugbahn lag 108 km über
der Erdoberfläche. Die Techniker nennen ihr neues Spielzeug
zärtlich "ZEMYORKA", die "Morgenröte".
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Abb. 1-5
Entwicklung eigener sowjetischer Raketenentwürfe aus der V2
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In Moskau hatte man sofort die Möglichkeiten
dieser neuen Technologie im friedlichen wie militärischen
Bereich erkannt und war konsequent an die Weiterentwicklung der
Ergebnisse von dreizehn Jahren deutschen Forschung gegangen, die
sich damals auch schon mit einer mehrstufigen Interkontinentalrakete
(dem A9/10 Konzept) beschäftigt hatten. Strategisch blieb
den Russen keine andere Möglichkeit als leistungsfähige
Raketen zu konstruieren.
Der Kalte Krieg begann; die Sowjetunion war von
einem Gürtel von Luftstützpunkten eingekreist, von denen
aus amerikanische Atombomber alle Punkte in der UdSSR erreichen
konnten. Dem wusste die UdSSR nicht anders zu begegnen, als ihnen
mit der Entwicklung von Interkontinentalraketen Paroli zu bieten,
die in der Lage waren Atombomben bis in die USA zu tragen.
Im Frühjahr 1953 genehmigte der Ministerrat
der UdSSR die weitere Entwicklung der R1 zur Interkontinentalrakete.
Für die Rakete im Ganzen ist Sergej Koroljow verantwortlich;
die Triebwerke mit der Kennzeichnung RD-107
für die erste Stufe bzw. für die zweite Stufe RD-108
konstruiert Walentin Gluschko. Kapustin Jar kommt als Startgelände
der ersten ICBM nicht mehr in Frage.
Deshalb baut man einen neuen Standort für die erforderlichen
Abschussrampen, die Kontrollgebäude, die Lagerhallen usw.,
das Kosmodrom in Baikonur
in der kasachischen Steppe.
Im März misslingt noch der erste Start einer R7-Rakete, doch
im August 1957 startet von Baikonur der erste erfolgreiche Flug
einer Interkontinentalrakete vom Typ R7. Der
Start wird von der sowjetischen Führung einige Tage später
weltweit verkündet.
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Abb. 1-6
R7 - die erste Weltraumrakete
-
in der SPUTNIK-Version
(in der NATO als SS-6 geführt)
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Technische Daten
der ersten R7 in der von nun an typischen sowjetischen Bauweise:
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4 Erststufenbooster
um die zentrale höhere Zweitstufe |
Gewicht: ca. 265 t |
Länge: 28m |
Max. Durchmesser:
3m |
Startschub: ca. 3960
kN |
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Einige Wochen später sollte der SPUTNIK-Schock
folgen, über den wir im nächsten Kapitel berichten werden.
Die USA waren beim Rennen ins All ins Hintertreffen geraten. Zwar
waren die ersten deutschen Wissenschaftler um Wernher von Braun
schon 1945 in die USA überführt worden, aber mit der
Arbeit an neuen Projekten durften sie erst im Jahr 1950 beginnen.
Da die "Krauts" in der ersten Zeit ihres Exils viel Zeit hatten,
entstanden in Fort Bliss unter ihrer Federführung
schon die ersten theoretischen Arbeiten für ein Mond- und
Marslandeprogramm. Nachdem aber die US-Airforce und -Marine mit
ihren eigenen Projekten nicht erfolgreich waren, kamen im Zuge
des Koreakrieges die von der US-Army vereinnahmten Wissenschaftler
zum Einsatz (Entw: von Mittelstreckenraketen). Die REDSTONE-Rakete,mit
der am 1. Febr. 1958 der erste erfolgreich gestartete US-Satellit
in die Umlaufbahn geschossen wurde, war eine Entwicklung der US-Army
und eigentlich nur ein Notprogramm, für das sogar noch originale
V2-Bauteile in der Steuerung verwendet wurden. Diese, durch Werner
v. Braun und sein Team konstruierte Notlösung kam nur zum
Einsatz, da die VIKING/VANGUARD-Trägerraketen
der US-Marine zwischen 1957 und 1959 kläglich versagten. |
Inhalt Letztes Update dieser Seite am 04.04.2004
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